Konsequent Farbe – Edgar Hofschen und Heinz Thielen, von Petra Mostbacher-Dix

Konsequent Farbe – Edgar Hofschen und Heinz Thielen, von Petra Mostbacher-Dix

von Petra Mostbacher-Dix, Einführungstext der gleichnamigen Ausstellung in der Galerie Hartl, Reusten, 2001

 

Royalblau, Kobaltblau, Güldengelb, Beigebraun, Rostrot, Blutrot, Hautrosé, Gelbschwarz, Schwarzblau, Rotschwarz, Türkisgrün, Nebelgrau …

 

Sie wissen, was das ist? Klar, Farben, oder besser Farbbezeichnungen, semantische Übereinkünfte. Und prompt befinden wir uns schon mitten in einer spannenden Geschichte. Sie und ich wissen per Begriff, was damit gemeint ist, aber meinen wir damit dasselbe? Oder eher das Gleiche? Oder etwas völlig anderes?

 

Worauf ich hinaus will, ist die Tatsache, dass Farben nicht zu greifen sind, und zwar genauso wenig wie Emotionen. Wer schon einmal versucht hat, derlei einem Kind oder einem Zeitgenossen mit anderer Muttersprache zu klären, weiß, wie schnell man da an seine Grenzen stößt. Emotionen sind genauso wenig messbar oder greifbarwie Farbe. Kaum hat man letztere per Netzhaut erfasst und per Geist analysiert, flirrt sie schon wieder davon.

 

Auch die hier gezeigten Arbeiten stellen uns diesbezüglich auf eine harte Probe. Farbe ist nämlich nicht nur ein physiologisches, sondern auch ein psychologisches Phänomen. Ein Abenteuer, ein Forschungsprojekt, dem sich Heinz Thielen und Edgar Hofschen konsequent verschrieben haben. Die Form folgt zwangsläufig, aber dazu kommen wir später.

 

Nun mag man meinen, dass, so manche Leinwand von Edgar Hofschen ganz einfach einfarbig, also monochrom Rot oder monochrom Blau oder monochrom…ist. Doch wer das glaubt, der hat nicht viel gesehen! Sich einlassen, intensiver, länger und genauer hingucken, heißt hier die Devise. Erst dann kommt des Pudels Kern zum Vorschein. Denn Edgar Hofschen hat auf seinen Öl-Leinwänden und Papierarbeiten , er nennt sie Gouachen, aber meistens sind sie Öl auf Papier, wenige auch Aquarelle, mitunter über 40 Schichten Farbpigment versteckt, geschichtet, gespachtelt. Denn Hofschen reibt die am Vortag angerührte Farbpaste mit hölzernen Spachteln auf den Bild – Träger – im Falle der Leinwände gibt es keine Grundierung – ein. Eine regelrechte »Knochenarbeit« (O-Ton Hofschen), weswegen der Künstler seine Arbeitsweise nicht als Malen, sondern als »Machen« bezeichnet. Zudem ist das auch eine diffizile Sache, wird nicht schnell genug gerieben, würden sich die untersten Schichten nicht mit dem Gewebe verbinden, würde zu lange gerieben, würde das Material zu trocken werden und abplatzen. Doch gerade diese Technik erzeugt die Tiefe, den auf den Punkt gebrachten matten Glanz, der so typisch für die Hofschen Bilder ist. Bilder, die auf den ersten Blick ganz still, ja fast statisch daherkommen, aber auf den zweiten eine ungeheure Farb-Dynamik offenbaren. Denn die Farbe ist zum Teil der Leinwand geworden, sie ist wie eingesaugt, ja mithin wird der Bild-Träger als Träger der Farbe ausgeschaltet. In anderen Worten, die leiblose Farbe bei Hofschen wird – obwohl sie in der zweidimensionalen Fläche bleibt, an der Oberfläche plan ist und nicht hervortritt -, als Körper spürbar, drängt sich dem Betrachter entgegen wie ein materieller Organismus. Je tiefer, je länger Sie sich darauf einlassen, liebe Betrachter, um so mehr beginnen Edgar Hofschens Bilder zu pulsieren, sich stetig zu verändern und regelrecht zu atmen. Und plötzlich sehen Sie ein blaues oder ein gelbes Schwarz, ein schwarzes Gelb oder ein schwarzes Rot, weil Hofschen beispielsweise die gleiche Anteile Schwarz in ein gelbes Bild einbringt, wie Gelb in ein schwarzes Bild.

 

Plötzlich sehen Sie ein Flirren, ein Wolken, ein Rauchen, ein Vorwärts und Rückwärts – ein Auseinandergehen und ein Zusammenkommen. In einer Art Linie, die jedoch nicht linear im eigentlichen Sinne, schon gar nicht exakt ist. Eher wie eine krakelige Naht, einer Narbe, wie man sie von Verletzungen her kennt. Doch ohne bitteren Nachgeschmack! Denn während Hofschen in seinen frühen Arbeiten, – damals arbeitete er auf ausrangierten Armeezeltplanen, die waren natürlich zusammengenäht und hatten feste, knubbelige Nähte – als festes, greifbares Element Naht-Spuren miteinbezogen hat, entstehen die heutigen Stichlinien durch das Aufeinandertreffen von Farbwogen. Und bezeichnen statt einer Verletzung, einer Trennung eher eine Zusammenkunft, eine Synthese. Sie sind wie ein zweiter Skagerrag, möchte man fast sagen, wo die Wellengischt (der Nord- und Ostsee) zusammentrifft, um dann wieder auseinander zu driften. Ein Ort, der das Rückgrat des Farbmeeres bildet. Diese Linie ist sozusagen der Eintritt in den Farbraum, denn an dieser Stelle schlägt die Vielfalt der Farbpigmente vulkanartig an die Oberfläche und dem Betrachter entgegen.

 

Doch es ist nicht nur die Naht, die dem Betrachter hineinhilft in die Bild-Welt des Edgar Hofschen. Wer länger als einen Augen-Blick verweilt, wird auch die vielen Flecken, Punkte, Schlieren, ja Farblöcher eines darunterliegenden Kerns entdecken. Folgen der handwerklichen Bearbeitung, die Hofschen in den letzeten Jahren seinen Arbeiten angedeihen lässt. Mit der Flex oder der Schleifmaschine schleift und schmirgelt er die Oberfläche der Bilder ab, um Darunterliegendes wieder hervorzuholen. Mit doppeldeutigem Effekt, damit erreicht er auf der einen Seite eine plane , wächserne Oberfläche, die dicht und glatt wirkt, schafft aber auf der anderen Seite Öffnungen, Zugänge zum Bild. Und Lichterlebnisse, je nach Lichteinfall und Blickwinkel sieht man verschiedene Aspekte des Bildes, Scharten, Schlieren, Formen, in matt oder glänzend. Ob Hofschen nun Farbe abnimmt, die Haut nach außen abschürft oder ob er sie in einem offenen Grenzland zusammenkommen lässt, immer bewegt er sich auf der Schwelle zwischen Physis und Psyche, zwischen Wahrnehmen und Sehen, zwischen Materie und Immaterie. Dabei wird deutlich, dass es letztendlich nicht allein um Farbe und Form geht, sondern um das Machen, den künstlerischen Prozess. »Ich male die Zeit« sagte der Maler einmal zu seinem Freund den Dichter, Ernst Meister. Und damit meinte er, so Meister, nicht das schnöde Zählen, sondern die Metamorphose der Substanzen. Hofschen präsentiert uns also Farbe nicht als Hilfs-Mittel der Darstellung, sondern als Materie selbst. Darum benennt er seine Arbeiten konsequent Modifikationen. Denn sie sind die Abwandlungen, die Abzählungen, die unendlichen Mutationsmöglichkeiten eines unerschöpflichen Stoffes aus dem die Wirklichkeit ist, die von Raum und Zeit, von Wachsen, Wechseln und Wahrheit des Daseins.

 

Auch Heinz Thielen beschäftigt sich mit dieser Unendlichkeit des Farblebens. Auch bei ihm ist Farbe nicht nur Mittel zum Zweck, sondern der Zweck selbst. Und statt zu betiteln numeriert er durch. Doch während Hofschen Heterogenes verbindet, verdeutlicht Thielen Heterogenität und Widersprüchliches. In ganz elementarer  Malerei, die an der Farbe selbst arbeitet. Die Betonung liegt auf »an«, denn Thielen begibt sich in einen dialogischen Arbeitsprozess mit der Materie, der beginnt, geführt und verworfen, dann wieder aufgenommen, innegehalten und schließlich beendet wird. Und – ganz wichtig – in dem permanent in allen Stufen des Prozesses reflektiert wird. Also was wir hier sehen ist demnach reelle Kommunikation, Kommunikation des Malers mit der Materie, die er mal spontan, mal bedacht, jedoch immer selbstkritisch führt. Fakten, die natürlich auch auf Hofschen zutreffen, doch anders als Hofschen arbeitet Thielen mit der impulsiven Geste, mit der er in vielen Schichten scheinbar Organisches, wild Wucherndes, sich Aufbäumendes, ja regelrecht aus allen Nähten Platzendes auf den Träger setzt. Formen, die weder genau abgegrenzt noch richtig deutbar sind. Form wird hier, um mit Umberto Eco zu sprechen, zum Möglichkeitsfeld. Immer verwischen, verfließen die Ränder, zeigen sich dort darunterliegende Farb-Töne oder brechen  darüberliegende auf.

 

Schließlich sind es ebenfalls viele Lagen dicker Eiöltempera, die Thielen aufeinanderlegt, die er aber anders als Hofschen stehen lässt. Die zweidimensionale Fläche ist bei ihm nicht plan, an manchen Stellen wird sie geradezu dreidimensional, wenn Körner, Wülste, Strukturen wie Lavaströme dickflüssig fließend aus dem Bild in den Raum dringen. Da hat Farbe plötzlich ganz reell körperliche Qualitäten, wird – wie bei Hofschen auch, nur im Planen – zum Stoff, zur Textur. Eine Eigenschaft, die Thielen bei seinen konstruktivenEinschüben zurücknimmt, aber nie zur Gänze. Immer bleibt die Geste, der Pinselzug, für den der genau hinschaut, sichtbar. Vielschichtige und vielgesichtige, weil farbige Gebärde, die dann plötzlich auf monochrome Geradlinigkeit trifft, gleichsam von überlagernder Geometrie und Konstruktion in Schach gehalten wird. Cuts, Schnitte nennt Thielen diese Momente, in denen konträre Welten aufeinandertreffen. Ein Begriff aus dem Filmbereich, der passt, denn auch Thielen erreicht wie ein guter Filmschnitt durch seine verhüllenden, eingeklinkten Cuts die Zuspitzung des Gegebenen, die Intensivierung des Inhalts, die Reduktion des Wesentlichen. Er montiert und demontiert sozusagen gleichzeitig die Bildrealität und führt das Auge des Betrachters an der Nase herum. Schaut man genau hin, ist man gar nicht mehr so sicher, was eigentlich was überlagert, was Vorder- und Hintergrund ist, wa oben und was unten liegt. Bewegung kommt auf, die gerichtet ist und wieder umspringt, weil die Energien, die zwischen exakter undundefinierter Form tanzen, jeglicher Sehgewohnheit und Farbvorstellung gegen den Strich laufen. Denn Thielens Farbakkorde, schmutzigbraun und beigegrün, hellblutrot und blauschwarz, haben mehr als Biss, sie knallen schräg, ja radikal und kontrastreich aufeinander, als ob sie sagen wollten, jetzt schaut mal, ob ihr das aushaltet, ob das hält.

 

Um es vorweg zu nehmen: Und wie das hält! Der schwierig-schmale Grad des Dazwischen, des Ortes, wo eine Farbe abhaut, wo sie sich behauptet, wo sie sich austauscht, den hat Heinz Thielen gefunden. Er schafft es ein überdrehtes Gelb mit einem Braungrün so weit zu beruhigen, dass es bleiben kann, ohne das Gesicht zu verlieren.

 

Sie merken, ich spreche hier in menschlichen Bildern, aber hier wird Farbe als Materie in Form verlebendigt, wird zu einem neuartig, unausweichlichen Faktum im abstrakten Tafelbild. Gerade weil da Verhältnis von Farbe und Form von einer Unbestimmtheit geprägt, untereinander nicht exakt zu definieren ist, also gewissermaßen einen diffizilen Schwebezustand zwischen Bewegung und Stillstand der Materie vorführen, den es zu halteb gilt. Das tut Heinz Thielen. Letztendlich geht es ihm um die Realität des Bildes, jedes einzelnen Bildes. Er sagt jedes Bild zählt für sich, auch wenn man mitunter Variationen festmachen mag, zählt um das, was darauf passiert ist und darauf passieren wird. Und das ist unglaublich viel: Bewegung, da kommt Form, Fläche, Körper, Farbklang und Schnitt zusammen, um ihre Liaisons immer neu auszuloten, abzuchecken, was geht und was nicht. Bis das Bild, die Materie Farbe, endlich in einem labil unbestimmten Gleichgewicht zu kommunizieren beginnt, Emotio und Ratio auf dem Punkt sind. Hier ist Heinz Thielen weder Nachfolger der informellen Automatisten, à la Pollock, aber genauso wenig Adept der Konstruktivisten, der mathematischen Formel, des Dogmas. Auch nicht derjenige, der beide Richtungen versöhnt. Im Gegenteil, ihn geht es um den Konflikt und den trägt er in der Bildrealität immer wieder aufs Neue aus. Und bringt somit bisher ungesehene Blickwinkel in die Geschichte der abstrakten Malerei – etwas, was Edgar Hofschen längst getan hat. Beide werden das weiterhin tun. Denn die Abstraktion ist – wie Thielen sagt – noch längst nicht ausreichend bearbeitet.

 

Recht hat er!

 

Sowohl Hofschen, als auch Thielen sind auf der Suche nach den Fundamenten, nach den Scheidungen, Brücken Verdichtungen und Auslösungen, den Veränderungen und dem Bewahren der absoluten Malerei. Hier ist Malerei nicht nur ein Bild, eine Emotion, eine Linie. Wenn Farbe zur bildkonstituierenden Materie wird, wird Malerei zum Erlebnis, eines der Kontemplation, der Aktion oder beides – das liegt (gemäß Hegel) im Auge des Betrachters -, aber in jedem Fall eines, das die Polarität des Daseins darstellen, ja mitunter aufheben oder gar verdeutlichen kann.

 

Darum möchte ich Ihnen zum Abschluss noch ein Zitat des französischen Malers Edouard Pignon mit auf den Weg geben: »Jedes Gemälde ist die Antwort auf eine Frage.«