Under Colour, Heinz Thielens Bildreihe – Konstruktive Dissonanzen von Jens Kräubig

Under Colour, Heinz Thielens Bildreihe – Konstruktive Dissonanzen

von Jens Kräubig, Text im Ausstellungskatalog Konstruktive Dissonanzen, Bilderstrecke 1992/93, Galerie der Stadt Kornwestheim, 1993

 

Heinz Thielen befaßt sich kon­se­quent mit Malerei. Seine Bilder plä­die­ren für Malerei, für das Tafelbild in abs­trak­ter Tradition und mit ihm für Farbe. Sie ent­ste­hen in Reihen. Eine Grundkonstellation wird über einen bestimm­ten Zeitraum durch­ge­spielt – in einem bestimm­ten Format, in einer offe­nen Folge von Variationen. Ein Konflikt, in dem Farbe und Form, Emotion und Kalkül hart anein­an­der­ge­ra­ten, wird abge­ar­bei­tet. Keine logi­sche Konsequenz bin­det die­se Reihen. Ihr Zusammenhang ist der einer losen Reihe von Orten, Situationen, von kon­stru­ier­ten Gegebenheiten, die für sich namen­los blei­ben. Wenn ihnen im fol­gen­den Titel zuge­wie­sen wer­den, so nur, um auf ihren indi­vi­du­el­len Charakter hinzuweisen.

 

Malerei ist für Thielen Verwandlung des Zweidimensionalen, genau­er, die Verlebendigung und Kontrolle der Fläche durch Farbe. Farbe und Form sind in ein Verhältnis zu brin­gen. Auch die neu­es­te Bildreihe ders Malers the­ma­ti­siert Farbe in mehr­fa­cher Hinsicht. Farbe zeigt sich  – ers­tens – als Form, als begrenz­te Fläche. Sie mar­kiert einen Schnitt, durch den getrennt und Getrenntes zugleich unmit­tel­bar als Eines zusam­men­ge­zwun­gen wird. Die mono­chro­men Rechteckformen, die eine Farbe ganz für sich vor­füh­ren, ver­ständ­lich zuge­schnit­ten und objek­ti­viert, holen dabei die Grenzen des Bildesins Innere des Bildes. Farbe tritt – zwei­tens – als Bewegung auf, eine bewuß­te und doch zufäl­li­ge Bewegung. Sie ist gewe­se­ne Aktion, Spur, in der Schubkraft nach­wirkt. Dabei wird – drit­tens – die Materialität der Farbe beson­ders her­vor­ge­kehrt, ihre opu­len­te, dehn­ba­re Konsistenz. Sie wird als Stoff erfahr­bar, als Masse und Haut. Farbe ist Form, Bewegung, Stoff – und doch bleibt da ein unfor­mu­lier­ba­rer Rest. Es ist die Unberechenbarkeit ihrer Wirkung, die Farbe erst zu einer selbst­stän­di­gen Energie wer­den läßt, auf die wir reagie­ren – mit der wir uns aber auch direkt iden­ti­fi­zie­ren können.

 

Thielens letz­te Bildreihen ten­dier­ten zu Gelb, so auch Bild Seite 2 und Bild Seite 3 von 1991. Gelb kann erhei­ternd wir­ken bis schmerz­haft gel­lend klin­gen. Bei Vermischung mit dunk­ler, erdi­ger Farbe kann Gelb eigen­ar­tig weg­rut­schen oder schmut­zig wir­ken und gera­de­zu Ekelqualitäten ent­fal­ten. Gelb ist labil, bei star­ker Aufhellung bekommt es etwas Überdrehtes. In Bild Seite 3, es sei hier   Love or Confusion  genannt, wer­den ein zar­tes Hellgelb und Rosarot zusam­men­ge­trie­ben. Fest ver­bun­den im Komplementärkontrast Gelb ‑Violett tau­chen an den Bildrändern zwei Rechtecke auf. Das Gelbfeld rechts oben schließt nach außen mit dem Bild ab, es ist rest­los fixiert. Das Rechteck unten hin­ge­gen wirkt über­schnit­ten und sei­ner Position nach labil. Von hier star­tet das Auge und geht über ein Farbmeer; breit hin­ge­stri­che­ne Lachstöne. Brechungen ins Rosa, gelb­li­ches Schillern. Bevor es im ruhi­gen Feld oben ankommt, gerät das Auge in einen Sog, wird mit­ge­ris­sen von den abstei­gen­den Farbschüben. Das Schwindelgefühl, das der tur­bu­len­te Diagonalabstieg  nach rechts unten und die nach rechts oben anstei­gen­de Diagonalverspannung der Rechtecke aus­löst, ist dem Gefühl ver­gleich­bar, der Boden schwän­de, wie es sich ein­stel­len kann, wenn man in einem hohen Raum auf eine Tür zuge­hend steil zur Decke empor­schaut. Im Bild Seite 2 wie­der­um arti­ku­liert sich ein Zentrum. Ein mas­si­ves Goldgelb wir­belt im Kreis her­um, die Mitte des Bildes nach rechts unten zie­hend. Die Tiefe, die sich hier auf­tut, über­la­gern eine Reihe par­al­lel geführ­ter Gelb- und Ockerbahnen. Ein erdi­ges Rot liegt in der rech­ten obe­ren Bildecke, links unten sitzt ein ste­chen­des Kaltrot fest. Wieder schnei­den sich über­eck eine Diagonale des ord­nen­den Impulses und eine Diagonale des male­ri­schen Impulses.

 

Auch Bild Nr. 2 der neu­en Serie – House in the Country - sei es genannt, ver­ar­bei­tet mas­siv Gelb, nun in sei­ner vol­len Chromatik zwi­schen Blau und Rot. Die weit hoch­ge­zo­ge­ne Querteilung sug­ge­riert einen Horizont. Es ist ein Schnitt, abs­trak­tes Trennen, das kon­kret und fühl­bar wird als Farbunterschied. Der Schnitt dehnt das Querformat zusätz­lich, es wird weit. Diese Weite läßt an Landschaftsmalerei den­ken, auch wenn der kon­struk­ti­ve Schnitt ein­fach eine blo­ße Operation des Verstandes – Trennen und Verbinden – vor­führt. Aber die­se Sebstverständlichkeit ver­liert der Schnitt durch die Farbe. Durch sie bre­chen Empfindungen von Vorder- und Hintergrund, von Nah- und Fernbereich auf. Der obe­re Bildstreifen in sich mar­kiert die ver­ti­ka­le Symmetrieachse des Bildes. Sie garan­tiert Halt, son­dert ein Links und ein Rechts, und sie kor­re­spon­diert im unte­ren Bereich ihrer Ausrichtung nach den brei­ten gelb­li­chen Pinselzügen. Das ins nas­se Gelb gestri­che­ne Blau wie­der­um tritt sei­ner Ausrichtung nach mit der gro­ßen Horizontalen in Verbindung, bestä­tigt sie, auch wo es aus­bricht. Auf der­ar­ti­ge Korrespondenzen ist zu ach­ten. Insgesamt wirkt der unte­re Bereich jäh wie ver­grö­ßert, bestür­zend dicht ans Auge her­an­ge­holt. Man sieht immer mehr ver­schie­de­ne Gelbnuancen, immer mehr ein­zel­ne Gelbspuren. Und so zwi­schen dem Großen und Kleinen ste­hen – auch dar­in ist eine Parallele zum Erleben von Landschaft ange­legt. Gleich einem Maßstab für Empfindungen sozu­sa­gen liegt oben der der ein­fa­che Kontrast Rot-Grün im Bild. Seine hei­le Stimmung signa­li­siert Optimismus, Frische, Blühen.

 

Aber zuerst ent­stand Bild Nr. 1: Three Hundred Pounds of Joy könn­te es hei­ßen. Es explo­die­ren die drei Primärfarben, sie flie­gen in deli­ka­ter Tönung regel­recht aus­ein­an­der. Auch hier voll­zieht sich der Farbauftrag in kur­zen Schüben. Farbe zeigt also wie­der­hol­te Bewegung oder Bewegungsfolgen, wie sie für ein betont male­ri­sches, nicht-lineares Zeichnen cha­rak­te­ris­tisch sind. Vor den Ausgangspunkt der Bewegungen legt sich gleich­gül­tig ein kalt-warmer Kontraststreifen aus Dunkelgrün und Orange. In Bild Nr.3 schie­ben sich dunk­le, erdi­ge Pinselzüge – Bruchstückengleich – schräg durch ver­ti­kal strö­men­des Rosa. Der mas­si­ve Farbauftrag  Nass-In-Nass, der die Fläche indi­vi­dua­li­siert, ihren Bildcharakter stärkt, führt zu einer kom­pak­ten Oberfläche, die sich in ihrer Dichte ver­schließt. Es geht weder um Transparenz noch um spe­cki­gen Glanz, es geht um inten­si­ve Vermischung und Überlagerung. Farbe, eben kein intel­le­gi­bler Gegenstand, son­dern ein unbe­re­chen­ba­rer Gefühlswert, sub­til oder bru­tal, prä­sen­tiert sich als ins Tastbare hin­über­wach­sen­der Schein. Dem Betrachter wird nicht die Reflexion einer kon­struk­ti­ven, d.h. logisch gere­gel­ten, auf Reinheit hin ange­leg­ten Farbreihung abver­langt, viel­mehr die Sinnliche Anteilnahme gegen­über einer indi­vi­du­ell getön­ten, male­ri­schen Farbkonstellation.

 

In Bild Nr. 5 tritt zwi­schen die mit kal­tem Rot und bla­ßem Gelb mehr­la­gig bestri­che­nen Flächen ein Kontraststreifen. Auch er zeigt Rot und Gelb an, aller­dings an eine völ­lig ande­re Tonskala rück­ge­bun­den. Die Rottöne, die weder ganz gleich noch ganz ver­schie­den sind, eben­so die Spannung zwi­schen den Gelbtönen, sind für das Auge nur mit Anstrengung annehm­bar. Die zwei Rottöne in ihrer fata­len Pracht über­rol­len es gera­de­zu. Besonders in Bild Nr. 6 und Bild Nr. 7 ste­hen rela­tiv ein­fa­che Buntfarben neben sprach­lich nicht mehr bei­läu­fig ein­hol­ba­ren Mischtönen. Gleichzeitig wird dem Auge zuge­mu­tet, kom­ple­xen zeich­ne­ri­schen Bewegungen, breit aus­ge­führt mit Farbe, zu fol­gen. Im Nächtlichen Bild Nr. 6 glei­ten über ein mit Rosa unter­leg­tes stump­fes Dunkelgrün Gelbschübe mit phos­pho­res­zie­ren­den Rändern. Mit Bild Nr. 7 geht es wie­der ins Helle. In Bild Nr. 8, es soll Tiger in Your Tank hei­ßen, neh­men die bestän­dig abbre­chen­den Pinselbewegungen den Charakter des Zerhackten an. Goldgelb jagt, ori­en­tiert an den sich von links ins Bild schie­ben­den Farbstreifen, zwang­haft über Purpur nach rechts, wird am rech­ten Bildrand zurück­ge­sto­ßen, springt zurück, zeigt sich des­ori­en­tiert. Eine erneu­te Bündelung der Kräfte fin­det in Bild Nr. 9 statt. Die recht­wink­lig anein­an­der­ge­scho­be­nen kal­ten Farbfelder wei­sen den hei­ßen Farbschüben gera­de Bahnen zu. Flammendes Rot, leicht gebro­chen, wird kon­se­quent nach rechts durch­ge­zo­gen, wäh­rend links eine Türkisfläche gegen ein Blau stößt. Auch Bild Nr. 10 zeigt in geo­me­tri­scher Form das Motiv Sperrung/Blockade. Hier fängt ein hoch­kant gestell­tes Grünrechteck den Zug eines son­ni­gen Gelbs ab. Ungehemmt schießt dazu bla­ßes Violett mit Orangetönen über die gesam­te Bildbreite hin: Movin – On. Mit die­sem chan­gie­ren­den Feuerschweif, abge­setzt gegen sat­tes Grün und Gelb, ist eine zehn­te male­ri­sche Situation erreicht. Hier endet die Strecke, die Reise durch die Farben zwi­schen Hell und Dunkel, Warm und Kalt, Süß und Sauer. Fraglos heben sich die­se ver­schie­de­nen Farbsituationen in ihrem indi­vi­du­el­len Charakter gera­de durch die kon­se­quen­te Reihung deut­lich von­ein­an­der ab.

 

Das Tafelbild greift Thielen in Expressionistischer wie in Konstruktiver Tradition auf. Die abs­trak­te Farbkomposition, wie sie etwa Kandinsky ab 1911 vor­schweb­te – eine Verbindung aus alo­gi­scher (psy­chi­scher) Improvisation und logi­scher Konstruktion, eine kon­struk­ti­ve Zusammenführung von Dissonanzen – die­se Farbkomposition wird bei Thielen neu belebt. Farbe in ihrer gan­zen Fülle und Unberechenbarkeit wird ange­ru­fen und zugleich dem Kalkül des Schnitts unter­wor­fen. So behaup­tet sich hart an der Grenze zur Ungestalt Reflexion im Unreflektierten. So ver­bin­den sich Animalische Spontaneität / Lyrismus, wie Theo van Doesburg 1924 die sub­jek­ti­ve Spekulation in der Kunst nann­te, und Konstruktion, Innere Notwendigkeit und objek­ti­ves System zum Bild, zur Malerei. Und die­se Malerei bleibt abs­trakt. Was an ihr poe­tisch emp­fun­den wer­den kann, ist also radi­kal auf Malerei, auf das Malen selbst zu bezie­hen. Auf eine rest­lo­se Schließung der Kluft zwi­schen Farbe und Form, oder flie­ßen­der Emotion und schnei­den­dem Kalkül, kommt es in Thielens Bildern gera­de nicht an. Seine Bilder wei­sen die Glättung ab – sie wischen den Widerspruch nicht weg, gehen viel­mehr direkt auf ihn zu. Der Gegensatz wird nicht gemeis­tert, er wird geret­tet. Er wird nicht dia­lek­tisch weg­ge­zau­bert. Er bleibt – als Anerkennung einer grund­sätz­li­chen Diskontinuität moder­ner Wirklichkeitserfahrung, die kunst­his­to­risch über die Collage oder anti­äs­the­ti­sche Gestaltungsverfahren wie das Cut – Up ein­zu­ho­len ist.

 

Thielen zieht Informelles und Konstruktives in sei­nen Bildern zusam­men. Unübersehbar ist dabei aber die Kritik an der Informellen Tendenz, Exzesse der Handschrift für ein gan­zes Bild zu neh­men, die Komposition preis­zu­ge­ben. Bei Thielen formt sich das Bild in wie­der­hol­ten Korrekturen des Improvisierten. Kritisch ste­hen sei­ne Bilder ander­seits zur Konstruktiven Tendenz, sich in Sauberkeitszwängen, Totalitätsvorstellungen und mathe­ma­ti­schen Lösungen zu ver­lie­ren. Das kon­struk­ti­ve Ethos der Reinheit muß zu Weiß füh­ren, zur refor­mier­ten Farbe, zur hygie­ni­schen Nichtfarbe des rei­nen Gewissens. Bezeichnenderweise taucht Weiß bei Thielen nur als Beimischung auf. Malerei oder das Malerische, so kann man von Thielens Bildern aus ver­all­ge­mei­nern, ist die Sehnsucht der Farbe nach Klarheit – aus dem Schmutz in die Reinheit, aus dem Menschlichen in das Unmenschliche. Diese bren­nen­de Sehnsucht. Dieses Drama.