Brodeln, Flackern, Zischen
Wie unwillkürlich aus der Ursuppe der Malerei entsprungen erscheinen die Arbeiten
von Heinz Thielen zu sein. Nennt er sie selbst ganz lapidar „Flecken“ und „Streifen“ –
abseits allen Gegenständlichen –, mögen Andere darin durchaus auch Assoziationen
zu vegetabilen Gebilden, strahlenden Kindersonnen-Darstellungen oder weit
ausgebreiteten Landschaftshorizonten ablesen wollen. Doch angesichts der
Kombination eher außergewöhnlicher Farbtöne und deren unorthodoxen
Verschichtungen müssen die sie Betrachtenden doch gleich wieder von ihren allseits
eingeübten Seh- und Begriffskategorien der Gegenstandswelt abrücken. Spätestens
wenn in einer Streifen für Streifen insgesamt horizontal gedachten Bildanlage nur
eines dieser Teilsegmente jählings in die Diagonale nach oben aufbegehrt, ist die
Vorstellung des Landschaftlichen ein für alle Mal durch(ge)strichen.
von Heinz Thielen zu sein. Nennt er sie selbst ganz lapidar „Flecken“ und „Streifen“ –
abseits allen Gegenständlichen –, mögen Andere darin durchaus auch Assoziationen
zu vegetabilen Gebilden, strahlenden Kindersonnen-Darstellungen oder weit
ausgebreiteten Landschaftshorizonten ablesen wollen. Doch angesichts der
Kombination eher außergewöhnlicher Farbtöne und deren unorthodoxen
Verschichtungen müssen die sie Betrachtenden doch gleich wieder von ihren allseits
eingeübten Seh- und Begriffskategorien der Gegenstandswelt abrücken. Spätestens
wenn in einer Streifen für Streifen insgesamt horizontal gedachten Bildanlage nur
eines dieser Teilsegmente jählings in die Diagonale nach oben aufbegehrt, ist die
Vorstellung des Landschaftlichen ein für alle Mal durch(ge)strichen.
Dabei weisen die Malereien von Heinz Thielen im Aufbau ihrer einzelnen
Kompositionselemente, die nach und nach vielfältige Verbindungen miteinander
eingehen, eine besondere Charakteristik auf. Weder werden nämlich die
verschiedenen Farbbahnen und Flächen durch exakt bemessene Begrenzungslinien
voneinander geschieden, noch sorgen andersfarbig gefasste oder gar unbearbeitete
Zwischenräume für deren Trennung. Ersteres würde zur Wirkung eines eher
statischen Konstruktes beitragen, Letzteres isolierte Farbinseln in Schwebezustände
versetzen. So aber verschlingen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – die
Streifen und Flecken einander gegenseitig.
Eines ist im Anderen zu sehen. Mal schmiegt sich Farbe an Farbe geschmeidiger oder
lässt sachte einen heller darunter liegenden Grund hervorlugen, mal reiben sie sich
an ihren Rändern geradezu widerspenstig auf. Die wie zufällig auf die angrenzenden
Farbgebiete geratenen Schlieren und Tropfen tun – in einer Art anarchischen
Überschwanges – ein Übriges dazu. Während an der einen Stelle die weich fließende
Eitempera noch materialgesättigte Strukturen kontinuierlich verlaufender Pinselzüge
nachzeichnen, bringen an anderen Stellen körnig-sandene Ablagerungen und
eingesprengselte Farbschollen dieselbe unvermittelt ins Stocken. Immer aber brodelt
und flackert und zischt es in diesen Arbeiten, als ob sie sich auf Dauer standhaft
weigerten, je wirklich als fertig, vollendet und tatsächlich getrocknet verstanden sein
zu wollen.
Abgesehen davon, dass die Arbeiten von Heinz Thielen überwiegend in einer Naß-in-
Naß-Technik zunächst auf dem Fußboden liegend und demzufolge in perspektivischer
Aufsicht entwickelt werden, bilden die Staffelungen der sich überlagernden
Malschichten in der Ansicht auf der Wand eine bemerkenswerte Tiefenräumlichkeit
aus. Ein beständiger Wechsel von durchscheinenden Davors und Dahinterliegenden,
volumenhaltiger Malmasse einerseits und ephemerer Farbnebel andererseits, ein
Strömen der Pinselfaktur vom linken Malgrund leicht fallend nach rechts unten,
Leserichtung und Zeitvergehen zugleich umfassend. Ein steter Wechsel auch in den
Wahrnehmungsräumen, in denen wir uns zu befinden glauben.
Dieses fast filmische Moment bewegter Bilder wird noch zusätzlich verstärkt, indem
sich die fluide wirkenden Oberflächen der Farbe bis über die Seitenkanten der
Keilrahmen hinweg erstrecken und sich selbstermächtigt so auch auf den hinter
ihnen liegenden Wandflächen – Projektionen der Vorstellungskraft – potentiell weiter
und weiter fortführen könnten. Schon die von Heinz Thielen angelegten Malbücher
machen auf ihren kleinformatigen Experimentierfeldern, die zu den Streifen-Bildern
entstehen, die Vorgehensweise deutlich, als die Blätter nicht nur mit breiten Pinseln
vollflächig bearbeitet sind. In der Regel reichen vielmehr die Malspuren über die
eigentlichen Seitenränder hinaus, greifen auf die gegenüberliegende Seite über und
durchtränken mehrere Lagen des Papiers auf einmal. Selbst noch die monumentalen
Flecken-Malereien können in dieser Ambivalenz als mikroskopische Einblicke in
die geheime Beschaffenheit von Kleinstlebewesen direkt vor uns wahrgenommen werden
oder aber umgekehrt als wie zufällig gelungene Aufzeichnungen planetarer
Lichtexplosionen weit entfernt im All. Bewegung, Dynamik, Variation immer im Blick,
das eben Abgeschlossene Beginn eines wieder Neuen. Nach dem Bild ist vor dem
Bild.
oder aber umgekehrt als wie zufällig gelungene Aufzeichnungen planetarer
Lichtexplosionen weit entfernt im All. Bewegung, Dynamik, Variation immer im Blick,
das eben Abgeschlossene Beginn eines wieder Neuen. Nach dem Bild ist vor dem
Bild.
Clemens Ottnad