Die Landschaft der Umwege
„Die Maler haben dem lieben Gott geholfen, die Welt zu erschaffen. Wenn Sie einen
Sonnenuntergang sehen, werden Sie ihn immer – falls Sie aus unserem europäischen
Kulturraum kommen – über den Engländer William Turner sehen, Landschaften werden Sie
über Caspar David Friedrich erleben.“ schrieb Markus Lüpertz, für ihn haben erst die
Künstler dafür gesorgt, die Welt zu sehen, und genau darin sieht er den eigentlichen Auftrag
der Kunst.
Für einen Architekten setzt sich der Hintergrund jedes gebauten Volumens aus
Flecken und Streifen zusammen: Die Horizontlinie auf Augenhöhe, die farbliche Komposition
der Natura naturalis, die spezifische Vegetation, das Oszillieren des topografischen
Grundbeats; im Kontrast dazu die Natura correcta des Gebauten, exakte Linien, ein
artifizielles Material-Colorit und den Größenmaßstab setzend. Noch entscheidender als diese
so in etwa beschreibbare Physis ist das Timbre, das vom Spannungsfeld erzeugt wird, die
Grundstimmung des Genius Loci, des architektonischen Ortes mit seinem spezifischen und
unverwechselbaren Charakter. Ebenso die Rolle des Lichtes, das Massen in etwas
Elegantes zu verwandeln und aus eigentlich nicht Zusammengehörigem einen gemeinsamen
Schatten zu werfen vermag.
Aber Heinz Thielen ist kein Landschaftsmaler, jedenfalls keiner, der dies in der Manier des
gegenständlichen Abmalens praktiziert. Gleichwohl fügen seine Bilder dort, wo sie sich in
einen innenräumlichen Kontext einfügen, eine ähnliche Kategorie ein. Wobei sie dabei selbst
zu Landschaften werden, einen Kontrast zur ortlosen Dingwelt bilden, zwischen Mobilem und
Immobilem vermitteln indem sie einen entschiedenen Kammerton setzen. Damit beflügeln
sie Ahnung und Assoziation, verhelfen dem Raum zu einer Geste, kraftvoll, ohne plakativ zu
sein; sie geben Anlass, erzeugen Erinnerung und sind Impulsgeber gleichermaßen. Lässt
man sich auf sie ein, verändern sie den Blick, schärfen die Wahrnehmung für die Feinheiten
des Unterschiedes und flankieren Sehnsüchte, Zweifel und Leidenschaften.
Das spürten auch die Studierenden bei der Auseinandersetzung mit Raumkonzepten, an
denen Heinz Thielen als Gast meiner Entwurfsklasse für Innenarchitektur an der Burg
Giebichenstein Kunsthochschule Halle beteiligt war. Buddhas Metapher lieferte uns dazu
eine Art Leitmotiv „Das Leben birgt viele Umwege in sich, die Kunst besteht darin, dabei die
Landschaft zu bewundern.“
Für mich und meine Familie, die zwischenzeitlich weitverstreut in verschiedenen Kontinenten
lebt, sind Thielens Bilder zu Referenzen einer gemeinsamen Heimat geworden, die sich von
einem physischen Ort unabhängig gemacht hat. Sie säumen unsere verschiedenen
Alltagswelten in New York City, Dublin, Florenz und Stuttgart; freibleibend; und doch
verbindlich.
Axel Müller-Schöll