»Markus F. Strieder, Skulpturen, Zeichnungen, Heinz Thielen, Malerei«, von Sabine Heilig, Einführungstext zur Ausstellung in der Galerie Werner Wohlhüter, Thalheim-Leibrtingen

»Markus F. Strieder, Skulpturen, Zeichnungen, Heinz Thielen, Malerei«

 

Malen heißt in ers­ter Linie zu Pinsel und Farbe zu grei­fen. Farben bestim­men unse­re Wahrnehmung. Von ihnen hängt ab, wie wir die Welt sehen. 

Doch zur Malerei gehört noch etwas ande­res, näm­lich die Art und Weise wie sie vom Künstler vor­ge­tra­gen wird.
Beides zusam­men, die Zusammensetzung der Farbpalette und die Malweise erge­ben den indi­vi­du­el­len Malstil.
Wenn Gerhard Richter, der erfolg­reichs­te zeit­ge­nös­si­sche Maler sagt:Es gibt so vie­le glaub­wür­di­ge Bilder auf der Welt, und wir lie­ben sie; wir rei­sen weit, um sie anse­hen zu kön­nen. Wir brau­chen sie. Und man­che brau­chen es eben, dass sie sel­ber Bilder her­stel­len,“ dann sind wir schon beim Kern der Sache. Zu malen heißt, an die Macht der Bilder zu glau­ben. Und das egal, ob gegen­ständ­lich oder abstrakt.

 

Heinz Thielen malt abs­trak­te Bilder in Eiöltempera auf Leinwand; die Figuren und Formen sei­ner Werke sind unge­gen­ständ­lich. Zu sehen sind far­bi­ge Kreise, Kurven, Kreuze, Flecken, Flächen, und es ist eine ges­ti­sche Malerei, die die künst­le­ri­sche Handschrift und die Farbe als ele­men­ta­re Bildmittel ein­setzt.Kräftig und doch voll zar­ter Leichtigkeit, expres­siv und doch poe­tisch zugleich“, wird sie beschrie­ben (Petra Olschowski 2009).

…Und der Blick in Thielens geräu­mi­ges Atelier in Stuttgart-Bad Cannstatt macht deutlich:
Hier geht es in aller ers­ter Linie um Leidenschaft, aber auch um Ausdauer.
Um ein sol­ches male­ri­sches Werk zu schaf­fen, braucht es viel Erfahrung. Geste und Farbe pur – ohne Wenn und Aber.

Heinz Thielen taucht beim Malen ganz in sein Motiv ein. Er blickt aus gerin­ger Distanz auf sein Bild her­ab, die Leinwand liegt auf dem Atelierboden. Die Prüfung des Geleisteten erfolgt dann an der Atelierwand mit dem not­wen­di­gen Abstand. Thielen schöpft sei­ne Titelgebung aus­schließ­lich aus for­ma­len Begriffen und benennt die Bilder ver­ein­facht mit Abkürzungen. Auch die ange­füg­ten Seriennamen sind Hilfsmittel, zum Beispiel: aus der SerieLichtschattenflecken“,Flecken und Tentakel“oder der Serie „Über Kreuz“. Nichts soll also vom rei­nen Seherlebnis ablenken.

Schon lan­ge inter­es­sie­ren ihn unge­wohn­te Farbzusammenstellungen: „… von hel­lem Lachsrosa mit blas­sem Grün oder sump­fi­gem Braunoliv, ihn inter­es­sie­ren die zahl­lo­sen Brechungsmöglichkeiten von Rot, beson­ders die hin zu Rosa, [ihn] beschäf­ti­gen aber auch die vie­len Möglichkeiten der farb­li­chen Grauanhebung. Die Primärfarbe Gelb, uni­ver­sal­sym­bo­lisch auf­ge­la­den (…) zog den Maler schon früh beson­ders an, Gelb, das ins Schwefelgelbe, Sandgraugelbe oder Strohgelbe, ins Senffarbene, Curryfarbene oder Honiggelbe gehen kann“ (Jens Kräubig 2015).
Der Autor die­ser Zeilen lädt zum Schwelgen in Farbvorstellungen ein, wenn­gleich, das muss selbst ich zuge­ben, das genaue Benennen von Farben nicht ein­fach ist.
Oder haben Sie immer sofort die ent­spre­chen­den Farbnuancen parat? Zinnoberrot, Scharlachrot,Krapprot, Purpur oder Ultramarin, Indigo, Kobalt, Preußischblau? Oder um wie hier bei den Gelb- und Brauntönen zu blei­ben: Chromgelb, Safrangelb, Neapelgelb, Khaki,Sepia, Umbra, Siena, Bernstein …?
Doch viel­leicht ist das gar nicht so wich­tig. Wichtiger ist doch viel­mehr, dass wir das,was wir sehen, emp­fin­den kön­nen, das wir es spü­ren. Und dazu gehört nicht nur die Farbe als visu­el­le Erlebnis,
son­dern auch das Farbmaterial als hap­ti­sche Substanz. 

Heinz Thielen geht in sei­ner Arbeitsweise so weit, uns sein Material regel­recht schme­cken zu las­sen. Dick auf­ge­tra­gen in schnel­len Bewegungen und breit aus­grei­fen­den Pinselschwüngen, häu­fig wird die Farbe auch mit der Hand ver­teilt, erobert sie den Bildgrund. Beinahe so, als habe sie die gan­ze Zeit dar­auf gewar­tet, dass es end­lich pas­siert. Die male­ri­schen Gesten wir­ken dabei aus­ge­wo­gen, nicht aggres­siv gesetzt, viel­mehr ganz selbst­ver­ständ­lich. Die Werke ent­ste­hen im künst­le­ri­schen Prozess weder absichts­los und auto­ma­tisch, also nur schein­bar spon­tan. Die Komposition baut sich nach und nach beim Machen auf. 

Der Aktionismus des Künstlers beim Malen ist immer Teil der Gesamtaussage.In der Fachsprache spricht man von der Faktur eines Bildes. Gemeint sind die Bearbeitungsspuren des Materials, also eine Klassifizierung des äußer­li­chen Erscheinungsbildes.
Doch Struktur und Farbe – das dicke, regel­recht fleisch­li­che Gelb, das zar­te, fast kör­per­lo­se Hellrosa – sind für den Maler Heinz Thielen untrenn­bar mit­ein­an­der verbunden.
Der mal mehr oder weni­ger pas­to­se Farbauftrag, zum Teil ent­ste­hen beim schnel­len Arbeiten Spritzer und Kleckse, wirkt sehr direkt und unmit­tel­bar.
Die male­ri­schen Oberflächen bin­den den Betrachter in die Bewegung des Pinsel mit ein, auch wenn wir dies nicht wirk­lich, son­dern nur mit den Augen nach­emp­fin­den kön­nen.Neben sei­ner infor­mel­len Bildsprache tritt die­ser par­ti­zi­pie­ren­de Aspekt in den Vordergrund. 

Nehmen wir uns dazu sei­ne mit 200 mal 270 Meter gro­ßen Motive etwas genau­er vor.
Die quer­for­ma­ti­gen Bildflächen sind in hori­zon­ta­le Bereiche geteilt, ähn­lich wie bei einer Landschaftsdarstellung in Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund.
Die Dreiteilung fällt male­risch und farb­lich ins Auge. Helle Farben in einer Zone: hel­les Ocker, Umbra, gelb­li­che Farben, zar­tes Lachsrosa; dunk­le­re Töne in der angren­zen­den. Viele Farben sind mit Weiß ver­mischt, was ihnen einen wei­chen, sam­ti­gen Charakter ver­leiht. Nähern sich – aus unter­schied­li­chen Farbfamilien stam­mend – ein­an­der an.
Formal kann man das­sel­be fest­stel­len: Rundliche Formen sind neben sol­che mit ten­ta­kel­ar­ti­gen Ausstülpungen gesetzt.
Ihre läng­li­chen Strukturen ver­bin­den sich mit den ande­ren zu einem sym­bio­ti­schen, pul­sie­ren­den Gewebe vol­ler Bewegung und Licht.
„Malen ist ein Fest“, hat Heinz Thielen ein­mal gesagt (Helene Schwab 2004).
Und Feste fei­ert man mit allen Sinnen. Sein Schaffen for­dert uns auf, den Spuren des Künstlers zu fol­gen. Wir wir­beln, glei­ten in‑, an- und über­ein­an­der in die­sen Farbmassen und bekom­men eine Ahnung von sei­ner räum­li­chen Empfindung, die uns mit­nimmt in das Farbgewebe, uns die Formen regel­recht mit Händen grei­fen lässt.

Markus F. Strieders Kunst ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit. Gemeint ist die Kooperation zwi­schen Arbeitern, Maschinen und dem Künstler. Sein Material ist das Eisen – bes­ser der Stahl – also eine Eisenlegierung mit einem gerin­gen Kohlenstoffanteil.
Dessen Eigenschaften: auf über 1000 Grad erhitzt lässt er sich in alle Richtungen bie­gen, kann also den Vorstellungen des Künstlers fol­gen.
Diese Flexibilität und zugleich sei­ne Stabilität haben Eisen und Stahl in der Geschichte der Menschheit zu einem der wich­tigs­ten Rohstoffe für die Industrie gemacht. Ursprünglich wur­de das har­te Material vor allem mit Gewalt in Verbindung gebracht, so schmie­de­te man aus Stahl äußerst effek­ti­ve Waffen. Anfang der 1930er Jahre kon­sta­tier­te der Bildhauer Julio González: Diesem Material ste­hen heu­te alle Türen offen, auf das es end­lich von den fried­li­chen Händen eines Künstlers geschmie­det werde.“
Anders als vie­le Künstlerkollegen ver­wen­det Strieder also nicht den Cortenstahl, der in Einzelteilen zu Bildwerken ver­schweißt wird, son­dern er formt sein Material aus dem Material selbst heraus.

So mag man auch bei Markus F. Strieder den Begriff der Faszination ins Spiel brin­gen,denn die Beherrschung einer Technik allein, macht das Abenteuer nicht aus. Es braucht bei­des: ein guter Boden unter den Füßen, sonst kann man nicht lau­fen“, so der Künstler im Gespräch mit mir. Gemeint ist neben der jahr­zehn­te­lan­gen hand­werklchen Erfahrung eine gro­ße Sensibilität beim Arbeiten. Wie wächst eine Form? Wie kommt etwas zustan­de? Was ist mög­lich? Wie kom­me ich dahin? Hierbei ist die gedank­li­che Vorarbeit ein wich­ti­ger Ausgangspunkt. Strieder, so heißt es, sei… in tech­ni­scher Hinsicht ein wah­rer Asket, er greift gezielt auf das ursprüng­li­che Schmiedeverfahren zurück, beschränkt sich bewusst in den gestal­te­ri­schen Möglichkeiten und ver­zich­tet auf jeg­li­che Nachbearbeitungen sei­ner Skulpturen, sowie auf eine etwa­ige ‚Veredlung‘ der Oberflächen.“ (Alice Wilke, 2012)

Quaderförmige oder kubi­sche Stahlkörper bil­den die Grundlage, aus denen Markus F.Strieder Formen schafft, die, wie­der­um einer redu­zier­ten Formensprache fol­gend, geo-
metri­sche Körper bil­den, wie z.B. Kreisel oder Ringformen (Serie „Toupies“ oder „en face“, 1987/2018) oder sol­che, die aus läng­li­chen Formen zusam­men­ge­setzt sind („Landschaft“ 2014/22).

Das Schmieden erzeugt jedoch kei­ne har­ten Volumen, sondern sol­che mit gerun­de­ten, orga­nisch wir­ken­den Kanten, wie von der Natur geformt. Das hat mich z.B. an Basalt erin­nert, ein eben­falls durch Hitze geform­ter Stoff, durch flüs­si­ges Magma, das beim Erkalten eine neue Form und Farbe annimmt.Es wur­de schon viel über die tech­ni­schen Aspekte der Arbeit von Markus F. Strieder geschrie­ben. Auch gibt es Videos, die ihn bei der Arbeit in der Schmiedewerkstatt zei­gen. Daher möch­te ich mehr die Wirkung sei­ner Werke in den Mittelpunkt stellen.

Aus der Distanz betrach­tet wir­ken sie mono­chrom, fast schwarz, bei­na­he stei­nern.Doch eigent­lich spielt sich ihr Farbspektrum in viel­fäl­ti­gen Graunuancen ab: Anthrazit, Aschgrau, Taubengrau, Schiefer, Tinte, Holzkohle… . Immer wie­der sind röt­li­che Einfärbun­gen zu erken­nen oder auch weiß­li­che Spuren. Zugleich gibt es krus­ti­ge Oberflächen­struk­tu­ren, blätt­ri­ge Partien, die an ver­brann­tes Holz erin­nern. Andererseits fin­den sich auch glat­te, wie abge­schlif­fen wir­ken­de Stellen.Die ange­spro­che­ne Faszination, die in der Arbeit mit die­sem Werkstoff steckt, reduziert
sich für den Künstler jedoch nicht auf Äußerlichkeiten. Beim Schmieden wird weder Materi­al abge­tra­gen (lat. scul­pe­re), noch Material hin­zu­ge­fügt (griech. plás­sein):Wenn man schmie­det“, sagt er,sieht man ja nicht hin­ein. Die Form kommt von innen.“ Diezu gestal­ten­de Masse bleibt immer gleich.
Er selbst emp­fin­det sei­ne Arbeit nicht als schwer.Und für den Betrachter erschei­nen sie eben­falls ganz selbst­ver­ständ­lich ent­stan­den zu sein. Sie wir­ken kei­nes­falls artifiziell.
Ihr opti­sches Gewicht täuscht über das rea­le hin­weg. Das Massevolumen der geschmiedeten Stahlkörper ist weit­aus grö­ßer als gedacht. Und je nach Präsentation im Raum kommt dies mal mehr oder weni­ger zum Tragen.
Hier in der Galerie Wohlhüter wur­de Strieders Skulpturen viel Raum gelas­sen. Das ist gut so, denn der Körper-Raum-Beziehung wird oft viel zu wenig Beachtung geschenkt, obwohl bei­de, die Skulptur und ihre Umgebung, immer mit­ein­an­der ver­knüpft sind. Es ent­ste­hen Spannungen zwi­schen den Exponaten auf dem Boden und natür­lich auch im Kontext mit den­je­ni­gen an der Wand.


Heinz Thielens Malerei und Markus F. Strieders Skulpturen zei­gen sich hier in der Galerie Wohlhüter in einer äußerst gelun­ge­nen Zusammenstellung. Und so for­mu­lier­te Heinz Thielen im gemein­sa­men Gespräch:Bei uns bei­den geht es um die Form.“
In der lei­den­schaft­li­chen Vorstellung, in der Perfektion der Machart, in ihrem sen­si­blen Umgang mit den bild­ne­ri­schen Mitteln und den Voraussetzungen des jewei­li­gen Materials ist es immer ein Fest für die Sinne!