»Über Kreuz und Kurven« von Clemens Ottnad Prospekt zur Ausstellung »Über Kreuz und Kurven«, Kunstverein Hechingen

Über Kreuz und Kurven

von Clemens Ottnad, Einführungstext und Text im Prospekt zur Ausstellung

»Über Kreuz und Kurven«, Kunstverein Hechingen

Selten ist in der Vergangenheit ein künst­le­ri­sches Ausdrucksmedium so häu­fig tot­ge­sagt wor­den wie die Malerei. Proklamierte Malewitschs Schwarzes Quadrat um 1913 die voll­stän­di­ge Abkehr vom Gegenstand, behaup­te­ten Ad Reinhardts aller­letz­te Bilder gut 40 Jahre spä­ter gar das Ende der Malerei über­haupt zu sein. Der Gattung gegen­über zunächst noch durch­aus kri­tisch ein­ge­stellt, san­nen jedoch selbst die Vertreter des Radical Painting seit den spä­ten 1970er Jahren nach einem Neubeginn des Mediums. So sieht nach Joseph Marioni und Günter Umberg bei­spiels­wei­se die „Radikale Malerei […] ihre Rolle weder dar­in, Mythen oder Legenden dar­stel­lend oder abs­tra­hie­rend wie­der­zu­ge­ben, noch dar­in, über mytho­lo­gisch oder gesell­schaft­lich ver­mit­tel­te Zeichen und Symbole die Vergangenheit mit der Gegenwart zu ver­knüp­fen. […] Radikale Malerei ist Gegenstand der sinn­li­chen Wahrnehmung, kein Vehikel um Informationen wei­ter­zu­ge­ben.“ [Joseph Marioni / Günter Umberg, Outside the Cartouche – Zur Frage des Betrachters in der radi­ka­len Malerei, München 1986, S.10]

Totgesagte leben länger!

Ganz und gar mit der sinn­li­chen Wahrnehmung befasst sind die Arbeiten von Heinz Thielen. Indem sie gera­de­zu einen gan­zen syn­äs­the­ti­schen Apparat in Gang set­zen, kön­nen sie mit Fug und Recht als ele­men­ta­re Malerei bezeich­net wer­den. Bereits beim Betreten des mit zahl­rei­chen Künstlerinnen und Künstlern geteil­ten Atelierhauses in Bad Cannstatt reicht allein schon ein annä­hernd geschul­ter Geruchssinn aus, die rich­ti­ge Tür zum Malatelier Heinz Thielens zu fin­den. Im Inneren dann mit den aus Pigment und Eiöltempera geschaf­fe­nen Werken kon­fron­tiert, setzt unmit­tel­bar eine Augenachterbahn ein, die unwill­kür­lich dem Sog der Farbe folgt, um einer­seits selbst­ver­ges­sen dem aus­schwei­fen­den Schwingen der dar­in ein­ge­schrie­be­nen Bewegungszügen zu ver­fal­len, ande­rer­seits jäh­lings an deren Verknotungspunkten auch wie­der ins Stocken zu gera­ten. Derart Über Kreuz und Kurven set­zen sich die­se Bahnen und Schleifen über die eigent­li­chen Bildgrenzen der jewei­li­gen Leinwand fort, knüp­fen an der nächs­ten an und schwap­pen über, hal­ten ein­mal gefun­de­ne Temperamente und Temperaturen fest, um sie in die­sem über die fest­stell­ba­re Zeit hin­weg­ge­hen­den male­ri­schen Kontinuum wei­ter­zu­tra­gen, umstürz­le­risch auf­zu­wie­geln, zu ver­söh­nen, unver­ein­bar zu sein und äußers­te Präsenz zu zeigen.

So ins Schweflige der Farbe ver­sun­ken ent­fa­chen sie ihr süßes Gift, das unver­se­hens auch alle ande­ren Sinne zu umfas­sen weiß. Angesichts der male­ri­schen Faktur und des stark vari­ie­ren­den Reliefs sowie der unter­schied­lich sämi­gen Weichheit oder porö­sen Körnung des nass in nass auf­trock­nen­den Farbauftrages erge­ben sich jeden­falls schier hap­ti­sche Qualitäten, die weit über den nur optisch-visuell erfahr­ba­ren Mahlstrom hin­aus­rei­chen. Erst ein­mal in die­sen räum­lich nir­va­nen Verschlingungen ver­fan­gen, erhe­ben jedoch mut­wil­lig wie gleich­sam zufäl­lig in die Bildareale implan­tier­te Vertropfungen, Schlierenspuren, klack­se Kleckse oder Karambolagen ein­ge­schla­ge­ner Pinselbahnen kon­tra­punk­tisch ihre Gegenstimmen.