Heinz Thielen – Malerei als Inhalt aushalten
von Jens Kräubig, Text im Ausstellungskatalog SÜD SÜD WEST, Kunstverein Talstrasse und Kunsthochschule Burg Giebichenstein, Halle/Saale, 2015
Heinz Thielen malte von Anfang an und praktiziert nach wie vor am liebsten Malerei. Seine Gemälde sind über die Jahre voller Farbe und Spannung geblieben. Thielen treibt Farbe offensiv ins Bunte, Polychrome, oder eher defensiv ins Unbunte, Monochrome. Er geht ins Helle, Sommerliche, zur Abwechslung aber auch ins Dunkle, Winterkalte. Vermutlich würde er gerne beides zusammen bringen, um sicherzustellen, dass alle menschenmöglichen Gefühlskonstellationen malerisch erfasst wurden. Die Bildgewinnung setzt ein mit Spontanmaßnahmen, die das Bildrechteck selbst in Frage stellen, Spannung entstehen lassen. Sodann gilt es, die gesamte Bildfläche zu beleben, malerisch so in Unruhe zu versetzen, dass sie möglichst lange anziehend für die Anschauung bleibt, sich nicht zu Ende sehen lässt. Zu Anfang breitet sich dünnflüssig Vorfarbe aus, in die andere Farbe, dick und mit breitem Pinsel aufgetragen, hineinfährt. Diese Pinselzüge, von unbestimmtem Erlebnisdrang angetrieben, beginnen zu wandern, wobei es zu weichen wie zu harten Richtungsänderungen, zu Kurven wie zu Winkeln kommen kann. Es entstehen Farbbahnen, die das Auge des Betrachters mitziehen wollen. Sie werden zunehmend pastoser ausgearbeitet, wobei Korrekturen anstehen, Stellen im Ganzen abzuändern sind, um dem Ganzen kompositorisch dauerhaft Halt zu geben. Jene Farbbahnen, breit wie die Spur eines Autoreifens oder schmal wie ein Geschenkband gehalten, sind im Ansatz stets aufgebrochen, lassen in sich auch andere Farbe zu.
Die gesamte Bildfläche ist zu beleben. Wo sich also klare Figur-Grund- bzw. Vordergrund-Hintergrund-Verhältnisse abzeichnen, sind sie zu verunklaren, um dem Eindruck entgegenzuwirken, es gäbe Stellen erster und zweiter Klasse im Bild. Zumeist kann der Farbgrund, das von den »Farbfiguren« Ausgesparte, statt als Negativ- auch als Positivfarbform gesehen werden. Der Maler versucht sicherzustellen, dass alle Bildstellen die gleiche optische Wertigkeit besitzen. Wenn Ansätze zu »Farbfiguren« auftreten, dann grenzen oder heben sich diese nicht restlos von ihrem Umfeld ab. Sie bleiben ihm verbunden. Spürbar zu halten, dass Figur und Grund den gleichen Ursprung haben, gelingt Thielen durch die Nass-Nass-Technik, in der er malt, eine Technik, bei der in noch nicht getrocknete Farbe hineingemalt wird, wodurch sich jederzeit »Grundfarbe« zumindest partiell an die Oberfläche zurückholen lässt, mit ihr sich vermischend. Diese Maltechnik öffnet Form, hebt Grenzen auf, schafft Verbindungen, was der Bildeinheit zugutekommt. Zum Malerischen gehört Großzügigkeit: Es erlaubt auch »Danebenhauen« bei der Behandlung von Einzelheiten. Bei pastosem Farbvortrag mit breitem Pinsel kommen von selbst Unsauberkeiten ins Spiel, Unkontrolliertes, Flecke, Kleckse, Spritzer. Diese werden nicht unter den Teppich gekehrt sondern eingebaut, dokumentieren sie doch den an Körperaktivität gebundenen, von Zufällen begleiteten Prozess der Bildgewinnung. Zugleich liefern sie dem stets groß angelegten Gesamtbild die »lebensnotwendigen« Einzelheiten.
Stark in der Farbe muss nicht heißen, dass nur »reine« Primär- und Sekundärfarben auftreten. Für den Farbmaler gibt es keine »schwache« Farbe, keine Farbtöne erster und zweiter Klasse. Für ihn können alle Farbtöne wertvoll werden, Schmutztöne mit eingeschlossen, denn selbst Erdfarbtöne lassen sich zum Klingen bringen. Nur reines Weiß und reines Schwarz sind dem Maler fremd. Ihn begeistern Konstellationen wie das Zusammentreffen von hellem Lachsrosa mit blassem Grün oder sumpfigem Braunoliv, ihn interessieren die zahllosen Brechungsmöglichkeiten von Rot, besonders die hin zu Rosa, beschäftigen aber auch die vielen Möglichkeiten der farblichen Grauanhebung. Die Primärfarbe Gelb, universalsymbolisch aufgeladen (wie Blau und Rot), zog den Maler schon früh besonders an, Gelb, das ins Schwefelgelbe, Sandgraugelbe oder Strohgelbe, ins Senffarbene, Curryfarbene oder Honiggelbe gehen kann: Es gibt endlos viele Farben Gelb. Wird eine individuelle Farbgröße wie etwa mattes Zinkgelb durch tiefes Orange und heiteres Taubenblau oder tiefernstes Schwarzgrün ergänzt, entsteht eine Konstellation, die aufgrund ihrer Komplexität allen Versuchen der Versprachlichung entzogen bleiben wird.
Sicher lässt sich partiell Räumlichkeit erahnen. Es macht dem Auge Spaß, solche Ausschnittansichten einzufangen, nur führen sie nicht zum Bildganzen. Da der Maler ausschließlich Querformat malt, könnte er ein verkappter Landschaftsmaler sein. Hier ist darauf hinzuweisen, dass er sich der vor ihm auf dem Boden liegenden Malfläche von oben nähert, gleichsam kopfüber in sie einsteigt. Nicht Aussicht, Aufsicht malt er. Ist die Farbfläche zum Leben erwacht, Gemälde geworden, wird sie feierlich an die Wand gebracht. Thielens stark körpergebundener und betont stofflicher Farbvortrag kann Züge des Ausschweifenden, Chaotischen, Rauschhaften besitzen, verweist aber nie auf außerhalb des Bildes Liegendes. Diese Malerei bleibt bei sich, erzählt von ihren eigenen Möglichkeiten. In der Begegnung mit ihrer Fülle, die auf tonaler wie stofflicherDifferenziertheit beruht, ist sinnliche Anteilnahme gefragt.