Auf dem Testfeld der Freiheit, von Petra Mostbacher-Dix, Text im Ausstellungskatalog »Heinz Thielen Tafelbilder für Küche und Bad«

Auf dem Testfeld der Freiheit

von Petra Mostbacher-Dix, Text im Ausstellungskatalog »Heinz Thielen, Tafelbilder für Küche und Bad«, Galerie op-nord, Stuttgart, 2005

 

Wie schrieb noch Gotthold Ephraim Lessing in sei­ner Hamburger Dramaturgie: “Ein Titel muss kein Küchenzettel sein. Je weni­ger er von dem Inhalt ver­rät, des­to bes­ser ist er.” Das scheint auch Heinz Thielen zu wis­sen. Nicht von unge­fähr  stürzt er uns anhand sei­nes Ausstellungstitels in köst­li­che Konfusionen. »Tafelbilder für Küche und Bad« nennt er sei­ne Schau in der Galerie Offene Positionen, kurz op-nord, wo die abge­bil­de­ten Arbeiten vom 21. Mai bis 19. Juni 2005 zu sehen waren.

Was meint also Heinz Thielen mit »Tafelbilder für Küche und Bad«?

Um noch­mals Lessing zu bemü­hen, hin­ter die­sen fünf Worten fin­det sich viel ver­steck­ter Inhalt. Den tra­di­tio­nel­len Begriff Tafelbild hat Thielen bewusst gewählt, um auf den Ursprung der heu­ti­gen, auto­no­men Malerei auf­merk­sam zu machen. Tafelbild bezeich­net in der west­li­chen Kunstgeschichte seit dem frü­hen Mittelalter ursprüng­lich jenes trans­por­ta­ble Bild, das der ein­zel­ne Gläubige für sei­ne pri­va­ten  Andachtsübungen ver­lang­te und um 1400 auch Eingang in die Privathäuser fand. Stand doch die Kunst zunächst im Dienst der sakra­len Aufgabe, den Andächtigen ein gemein­sa­mes Glaubenserlebnis zu ver­mit­teln. Diese Wurzeln des Bildes, das natür­lich längst dem Kirchen- und Andachtsbereich ent­wach­sen ist, ver­leug­net der Künstler nicht. Im Gegenteil, indem er die­se Begrifflichkeit ins span­nen­de Wortspiel moder­ner Zeiten ein­bringt, zeigt er, wie aktu­ell sie immer noch ist. Der Titel ist auch Hinweis dafür, dass nie alles aus­dis­ku­tiert sein wird, dass es nach­zu­den­ken gilt – über die Malerei, deren Zweck, deren Missbrauch, deren per­ma­nen­ter Totsagung und Wiederauferstehung.

 

Und so hat denn auch Heinz Thielen spe­zi­ell für die Räume des op-nords Bilder ent­ste­hen las­sen, für einen Ort, der einst Lagerraum, ab den 50er Jahren dann eine Hausmeisterwohnung war. Diese beweg­te Vergangenheit hat vie­le Spuren hin­ter­las­sen, am deut­lichs­ten sicht­bar sind sie in Küche und Bad. Dort hän­gen Fliesen an der Wand, fah­le, irgend­wie unde­fi­nier­bar hell­gel­be im Bad und in der Küche gespren­kelt hellblau-graue. Derlei Wandbestückung mag wohl so Manche oder Mancher von der Kindheit her ken­nen und eine Tür zu einem Zimmer der Erinnerung auf­sto­ßen. Heinz Thielen erging es jeden­falls so. Das hat unter­and­e­rem bio­gra­fi­sche Gründe. Als Sohn eines Fliesenlegers hat er mehr als ein­mal sol­che Fliesen in der Hand gehabt. “Die Vergangenheit ist ein Sprungbrett, kein Sofa”, beton­te einst der bri­ti­sche Verleger und Politiker Harold Macmillan. Auch Heinz Thielen beließ es nicht beim Erinnern, er nutz­te die Relikte als Sprungbrett und ließ sich von ihnen inspi­rie­ren. Mehr noch, er hat sich über das Kolorit die­ser Fliesen das geschich­ten­träch­ti­ge Ausstellungsterrain regel­recht erschlos­sen. Über die an den Wänden von Küche und Bad vor­ge­fun­de­nen Farbkonstellationen hat er sein Konzept, eine regel­rech­te Dramaturgie der »5 Bilder in 5 Räumen« entwickelt.

 

So sind dann auch Raum 1, das Bad, und Raum 2, die Küche, der Schlüssel zu der fas­zi­nie­ren­den »Tour de Thielen«. Für bei­de Zimmer hat der Künstler Raumgreifendes im Ton der Fliesen geschaf­fen. Denn nicht nur an der Farbigkeit der Kacheln, die jeweils den hal­ben Raum bede­cken, lehnt sich die Malerei an, son­dern auch an der Größe der frei­en Wandfläche dar­über. In ande­ren Worten, er hat die klei­nen, exakt neben­ein­an­der ange­ord­ne­ten Fliesen monu­men­tal in abs­trak­te Malerei umge­setzt. Fast ist es, als hät­te er eine der Kacheln unter das Elektronenmikroskop gelegt, um das zig­fa­che poten­ziert und dann an die Wand gebracht. Der Effekt ist über­ra­schend. Die bei­den »Einstiegsbilder« schei­nen aus den Flächen der Kachelfelder zu ent­wach­sen, die Malerei, eine Woge aus Bleu oder Fahlgelb, bil­det auf den ers­ten, schnel­len Blick mit den Fliesen eine Fläche.

Doch mit Monochromie hat das nichts zu tun. Wer genau­er hin­sieht, der nimmt die Pinselspuren wahr, die unge­heu­re Kraft des Thielenschen Duktus, die Tiefe der dich­ten, vie­len Pigmentschichten. In die­ser Detailsicht, die­sem Lupenmodus, ent­deckt man plötz­lich wei­ße, gel­be, graue oder ande­re Sprenkler, die kurz in der Dünung des Farbmeeres empor­kom­men, um gleich wie­der zu ver­schwin­den. Mehr noch, dann merkt man, wie die­se Punkte der bran­den­den Dynamik Gerüst ver­lei­hen. Das Verblüffende: Plötzlich sind die­se Farbschichten so sehr Teil der Leinwand gewor­den, dass man der lein­wand nicht mehr gewahr wird. Man ver­gisst den Träger, ver­gisst die Zweidimensionalität, die Farbe wird zum hap­ti­schen Erlebnis. Sie tritt uns drei­di­men­sio­nal ent­ge­gen, ist spür­bar wie ein neu­ar­ti­ger Organismus. Mitunter ist es, als wür­den die Bilder atmen. Die Pigmente, die Grate, die Täler und Höhen des pas­to­sen Auftrags, die der Künstler ohne Scheu ste­hen lässt, begin­nen sich zu bewe­gen und schei­nen zu pul­sie­ren. Kacheln und Bilder wer­den in einem Moment eins, im nächs­ten bre­chen sie wie­der aus­ein­an­der und begin­nen sich neu zu sor­tie­ren. Genau hier sind wir wie­der bei Thielen selbst. In sei­ner Malerei ver­bin­det er Homo- und Heterogenität, Folgerichtiges und Widersprüchliches, wiegt uns erst in Sicherheit der Kennerschaft, nur um uns im nächs­ten Augenblick mit einem neu­en Farbton, einer Riefe, einem Pigmentstrang, der wie Lava aus dem Untergrund drängt,  wie­der von unse­rem selbst­kre­ierten Betrachtersockel zu stoßen.

 

Dieses Wechselspiel zwi­schen den Ebenen , die­se Gratwanderung zwi­schen Bewegung und Stillstand fin­den sich dann auch in den ande­ren Arbeiten der Hausmeisterwohnung. Allerdings lässt uns dort der Künstler näher her­an, um sei­ner ele­men­ta­ren Kommunikation mit dem Bild zu lau­schen. Im Formatwechsel ver­steht sich, denn nun bringt er das typi­sche gro­ße Thielenformat in die Spielzimmer der Kunst. Statt einem Dialog zwi­schen Kacheln und Bild, gibt es nun den zwi­schen wei­ßer Wand, Raum und Bild, gleich­wohl leuch­tet die Ausgangssituation nach. So ist in Raum 3 noch das Hellgelb des Bades zu ent­de­cken, doch längst führt es ein Eigenleben à la Thielen. Es hat sich mitViolett-Blau ver­bün­det. Oder wehrt es sich gegen des­sen Einmischung? Wir glau­ben eine Art Horizont zu erken­nen, glau­ben, dass es uns in sich hin­ein zieht­wie ein schwar­zes Loch. Immerhin ist Blau die Farbe der Tiefe, der Grenzenlosigkei! Doch dann, sobald wir uns in die­ser Mitte ein­ge­rich­tet haben, macht es die Grenzen wie­der zu und stößt uns zurück. Denn Heinz Thielen ist der Meister der Balanceder Farben, des Voranschreitens und Zurückholens, des Fallenlassens und Auffangens. Immer schafft er es das Ruder her­um­zu­rei­ßen, uns in die­ser Spannung, die durch Ungewissheit ent­steht, zu hal­ten. Wie viel Blau ver­trägt die Komplimentärfarbe Gelb, wann muss es ins Violette gehen? Wann haut die Farbe ab, wie bleibt sie ste­hen? Fragen über Fragen, die Thielen sub­til auf­zeigt und Lösungen fin­det. Er weiß, dass eine Nuance zu viel alles zum Absturz bringt, ein Ton zu wenig Langeweile birgt.Farbe ist etwas,dass, wie Pablo Picasso sagte,“über sich hin­aus weist”. Josef Albers bezeich­ne­te die Tatsache, dass sich der Farbwert pro­por­tio­nal zu den Nachbarfarben ver­än­dert, in sei­ner Farbtheorie “Interaction of Colors” als die Relativität der Farbe. Die kommt im Fall Thielen beson­ders zum Tragen. Er ver­wen­det mit Vorliebe schrä­ge Töne, er lässt Farbakkorde bis­sig auf­ein­an­der knal­len, radi­kal und kon­trast­reich, als ob er sagen woll­te, jetzt schaut mal, ob ihr das aus­hal­tet, ob das hält.

 

Und es hält, wenn etwa im Raum 4 ein Camouflage-Grün auf ein sump­fi­ges Braun trifft, wenn ein Beige von einem Babyrosa gereizt wird. Im fünf­ten und letz­ten Raum erlaubt Thielen sich gar, uns mit einem knal­li­gen Gelborange zu kom­men. Er stellt es ein­fach so wie einen mäch­ti­gen kon­struk­ti­ven Block in die unte­re Ecke des Bildes. Hält sie die viel­schich­ti­ge, viel­ge­sich­ti­ge Gebärde mit ihrer Geradlinigkeit in Schach? Schaut man genau­er hin, ist man sich nicht mehr so sicher, was eigent­lich was über­la­gert, was Vorder- und was Hintergrund ist, was oben und was unten liegt. Cuts nennt Heinz Thielen die­se Momente, in denen kon­trä­re Welten auf­ein­an­der­tref­fen. Dieser Begriff kommt aus dem Filmbereich und wie bei einem guten Filmschnitt spitzt sich auch bei Thielen das Gegebene durch die ver­hül­len­den, ein­ge­klink­ten Cuts zu, wird der Inhalt inten­si­viert und auf das Wesentliche redu­ziert. Er mon­tiert und demon­tiert sozu­sa­gen gleich­zei­tig die Bildrealität und führt das Auge des Betrachters an der Nase her­um und bringt uns an den Rand unse­rer Wahrnehmung. Letztlich prä­sen­tiert Thielen Bilder in Bildern durch Farbe und Form. Formen ent­ste­hen dabei oft durch unter­schied­li­che Farbdichten und sind oft weder genau abge­grenzt noch rich­tig deut­bar. Die En ergien tan­zen zwi­schen exak­ter und unde­fi­nier­ter Form, lau­fen jeg­li­cher Sehgewohnheit und Farbvorstellung gegen den Strich. Form wird hier, um mit Umberto Eco zu spre­chen, zum Möglichkeitsfeld.

 

Das zeigt, wor­auf es Heinz Thielen ankommt. Er voll­führt ganz ele­men­ta­re Malerei, die an der Farbe selbst arbei­tet. Sie wird als Materie ver­wandt, wird zur Form, und damit zu einem neu­ar­tig, unaus­weich­li­chem Faktum im abs­trak­ten Tafelbild. Heinz Thielen be- und erar­bei­tet sie in einem Dialog mit dem Bild, in einem spon­ta­nen, gleich­wohl reflek­tier­ten Prozess. Das zeigt, dass er kei­nes­falls ein Informeller ist, genau­so wenig ein Dogmatiker. Ihm geht es um die Auseinandersetzung mit der Bildrealität. Das trägt er immer wie­der aufs Neue aus und bringt bis­her unge­se­he­ne Blickwinkel in die Geschichte der abs­trak­ten Malerei. Mitunter ent­ste­hen dabei Kartons. Diese Vor-Malereien sind in sich eigen­stän­di­ge Arbeiten und Zeugnis dafür, wie sich Thielen an die 5 Bilder für 5 Räume ange­nä­hert hat. Das führt zu einem wei­te­ren Punkt der Thielenschen Malerei: sei­ne Arbeiten sind ein Abbild des künst­le­ri­schen Prozesses, eine Veranschaulichung der Zeit, eine Geschichte der Metamorphose der Substanzen und der Bilder. Und hier ste­hen wie­der die Begriffe Dramaturgie und Film im Raum. Denn gehen wir die­se Bilder der Reihe nach durch, schei­nen wir den Stills, den Standbildern, den gleich­wohl durch ihre Malerei in sich beweg­ten Bildern eines Films nach­zu­spü­ren. Dieser nimmt uns mit auf die fas­zi­nie­ren­de Suche nach den Fundamenten, nach den Chancen, den Brücken, den Brüchen, den Verwandlungen, der Aktion, der Kontemplation,letztlich der ewi­gen Gültigkeit der abso­lu­ten Malerei.In die­sem Sinne ist Thielens Film in sei­ner Form- und Farbradikalität durch­aus poli­tisch, the­ma­ti­siert er doch auch die Schattierungen des Daseins. Das Ende ist offen! Die Bilder ent­wi­ckeln sich weiter.…

 

Das wür­de wie­der­um Joseph Beuys gefal­len, der Kunst nicht nur poli­tisch, son­dern auch als Heilungschance für die Gesellschaft begriff. Für ihn war sie die Erweiterung des Mediums Sprache, ein Werkzeug der Bewusstmachung, das betrof­fen machen müs­se. Wenn es das täte, so Beuys, dann fol­ge irgend­wann das Reden, damit die Katharsis, also die Befreiung. Er sag­te: “In dem Augenblick, wo die (Kunst-)Dinge da sind, fängt man unter Umständen des­we­gen, weil die Dinge da sind, zu spre­chen an, d.h. sie haben einen pro­vo­zie­ren­den Charakter, Kunst pro­vo­ziert immer nur.”

 

In die­sem Sinne wir­ken auch Thielens Werke – sie sind ein unend­li­ches Testfeld für die Freiheit.